Fotos mit halbnackten Weltmeistern reichen nicht

Dietrich Schulze-Marmeling, einer der führenden deutschen Fußball-Autoren, sprach im TaT in Rheine über Entwicklungen im Fußball. Eingeladen hatte ihn die SPD im Kreis Steinfurt (links im Bild die Altenberger Sozialdemokratin Ulrike Reifig). Foto: SPD

Ãœberregional

Kreis Steinfurt. Ein Spiel dauert 90 Minuten, bei Verlängerung 120. Aber Schluss ist erst, wenn der Schiedsrichter abpfeift.

 

So war es auch, als einer der bekanntesten deutschen Fußball-Autoren, der Altenberger Dietrich Schulze-Marmeling, jetzt in Rheine zu einer Diskussion über den Fußball antrat.

Eingeladen dazu hatte die SPD in das TaT-Zentrum. Zwei Stunden lieferte Schulze-Marmeling den Zuhörern einen verbale Steilvorlage nach der anderen – vom Dilemma des SC Preußen Münster über die kommerziell enteilte englische Premiere League bis hin zu Fan-Krawallen und dem staatlichen Gewaltmonopol. Nach 123 Minuten pfiff der SPD-Kreisvorsitzende Jürgen Coße schließlich ab. Sein Fazit: „Das war ein wirklich interessantes Spiel.“
Tatsächlich zeigte Schulze-Marmeling, warum er zu den gefragtesten Experten zählt, wenn es darum geht, einen genaueren Blick auf die vielen Facetten des Fußballs zu werfen. Der Mann kennt sich aus. Das hat er in mehreren erfolgreichen Büchern schon bewiesen.

Dabei ist der Altenberger Schulze-Marmeling keiner, der distanziert und kühl nur von außen analysiert. Nein, sein Herz schlägt laut und voller Liebe für den Fußball. „Mich nervt es, wenn der Fußball so oft mit negativen Schlagzeilen in Verbindung gebracht wird.“

Man muss miteinander reden: Zum Beispiel beim Thema Gewalt. „Es ist unbestritten, dass es hier im Fußball Probleme gibt“, sagte Schulze-Marmeling. Er wolle auch nichts beschönigen. „Aber es gibt Schlimmeres, wenn ich an die Angriffe auf Flüchtlingsheime denke.“ Er forderte Gesprächsbereitschaft, um der Gewaltproblematik in und vor den Stadien zu begegnen: „Man muss miteinander reden, nur so geht es.“

Sein Appell richte sich an die Ultras, aber auch an die Polizei. Mit drastischer Einschüchterung, ein Leben lang nachwirkenden Strafen oder gar mit Wasserwerfern sei das Problem jedenfalls nicht zu lösen. Bürgerrechte und Rechtsstaatlichkeit im Umgang selbst mit unbelehrbaren Fans dürften nicht auf der Strecke bleiben.

Ebenso eindeutig sprach sich Schulze-Marmeling dagegen aus, die Aufgaben der Polizei an private Sicherheitsdienste zu übertragen, um Krawalle der Fans zu verhindern. „Millionen Menschen in diesem Land sind Fußballfans und Steuerzahler. Es gibt ein öffentliches Interesse, der Staat darf sein Gewaltmonopol nicht in die Hand privater Unternehmen geben.“

Natürlich ging es an diesem Abend auch um den Kommerz im Fußball. Horrende Ablösesummen und Gehälter für die Top-Spieler, hoch verschuldete Vereine, katarische Scheichs und russische Oligarchen, die ihr Geld in diesen Sport pumpen – all das belegte Schulze-Marmeling mit vielen Zahlen. Und dennoch: „Bei uns in Deutschland wird im Fußball noch relativ vernünftig mit Geld umgegangen.“

Bei den TV-Geldern und der weltweiten Vermarktung der Marke Fußball sei die englische Premiere League uneinholbar vorn. „Englischen Fußball können Sie praktisch in jeder Strandkneipe dieser Welt sehen.“ Die englischen Vereine seien immer als Unternehmen angesehen worden. Eine „50+1-Regel“ wie in Deutschland, wonach Unternehmen nicht die Mehrheit an den Vereinen halten dürfen, habe es ein England nie gegeben.

Schulze-Marmeling wagte aber eine Prognose: „Diese Regel wird auch bei uns fallen. Je dominanter der FC Bay­ern wird, desto eher.“ Nur mit einer solchen Öffnung für neue Einnahmequellen könnten sich andere Vereine gegen die Ãœbermacht der Münchner stemmen.

Ein Traditionsverein, der dem Münsterländer Schulze-Marmeling am Herzen liegt, ist der selbstverständlich der SC Preußen Münster. Aber der ist eben nicht der SC Freiburg, der bei ähnlicher Ausgangslage den Preußen inzwischen sportlich wie wirtschaftlich weit, weit voraus ist.

Die Diskussion um ein neues Stadion in Münster, die seit Jahrzehnten andauert, ist für Schulze-Marmeling einer der Knackpunkte: „Der SC Preußen hat einfach keine Lobby in dieser Stadt. Auch die Politik zeigt kein Interesse.“ Die Ultras in der Ostkurve würden als „die letzten Schmuddelkinder in dieser sonst so sauberen Stadt von Akademikern und Beamten“ angesehen.

Für die anwesenden SPD-Politiker hatte Schulze-Marmeling jedenfalls einen Arbeitsauftrag, wie aus seinen Worten herauszuhören war. Sowohl, was den Einsatz für ein neues Stadion in Müns­ter angeht, als auch generell: „Der Fußball ist so wichtig in unserer Gesellschaft, da ist es auch die Aufgabe der Politik, Stellung zu beziehen.“ Und das nicht nur, wenn gerade mal wieder WM-Finale ist und schöne Jubelfotos mit halbnackten Weltmeistern möglich sind.