Was geht uns Europa an?

Ibbenbürens Bürgermeister Dr. Marc Schrameyer stand uns anlässlich der Wahlen zum Europaparlament für ein Interview zum Thema Europa und seine Bedeutung für die Kommunen zur Verfügung. Foto: Stadt Ibbenbüren

Ibbenbüren

Ibbenbüren (hp). Am kommenden Sonntag (26. Mai) wird in Deutschland und den meisten Ländern der Europäischen Union zum 9. Mal das Europäischen Parlament gewählt.

In der Vergangenheit wurde die EU in ihren Entscheidungen häufig als „Kommunenblind“ gescholten – was aufhorchen lässt vor dem Hintergrund, dass etwa zwei Drittel der in der Europäischen Union beschlossenen Regeln kommunale Zuständigkeiten betreffen. Man könnte sagen: Europapolitik ist überwiegend Kommunalpolitik.

Wie die Kommunen Einfluss auf europäische Entscheidungen nehmen können, welche Vorteile die Kommunen von Europa haben, darüber sprach „Wir in Ibbenbüren“ mit Ibbenbürens Bürgermeister Dr. Marc Schrameyer.

Wie kann Ibbenbüren in Europa mitreden, wie kann die Stadt ihre Anliegen nach Eu­ropa bringen?
Dr. Marc Schrameyer: Über die Euregio. Die Euregio ist für uns hier das Tor zu Europa, das es uns als Zusammenschluss von Kommunen und Kreisen ermöglicht, unsere Anliegen in Richtung Europa zu artikulieren – und da auch gehört zu werden! Das funktioniert mit der Euregio sehr, sehr gut und ist ein ganz tolles Instrument, um auch wahrgenommen zu werden.

Wie und wo profitiert Ibbenbüren von EU-Fördermaßnahmen?

Dr. Marc Schrameyer: Was wirtschaftliche Fördermaßnahmen angeht, haben wir ein Problem: Es geht uns in Ibbenbüren „zu gut“. Wir gehören in keine der klassischen Förderregionen, was es uns schwer macht, im Bereich der Wirtschaftsförderung und der Industriepolitik Mittel hier zu verorten.

Die letzte große Fördermaßnahme war in den 1990er Jahren die Erschließung des Gewerbegebietes Süd-Ost über einen Sonderpassus der Steinkohlekonversion. In diesem Jahr 2019 haben wir es geschafft, 1,4 Millionen Euro von der EU für die Entwicklung der Flächen von Oeynhausen- und Nordschacht zu akquirieren. Das ist das erste Mal seit Ende der 90er, dass wir für die Industrie Mittel aus der EU nach Ibbenbüren holen konnten. Im Rahmen der EU-Agrarförderung sind in 2017 rund 5,5 Millionen Euro nach Ibbenbüren geflossen, und an EU-Mitteln für Bildung und Erziehung wird sehr viel über die freien Träger und die Volkshochschule abgerufen.

Es gibt andere Regionen, die stärker profitieren als Ibbenbüren, klar. Aber dort sind auch die Problemlagen ganz andere als die, die wir hier haben.

Worin sehen Sie die größten Vorteile der EU die Bürgerinnen und Bürger?

Dr. Marc Schrameyer: Die Grundfreiheiten. Das Thema Grundfreiheiten wird viel zu selten hervorgehoben.

Es ist noch gar nicht so lange her, dass wir an den Grenzen gestanden haben und noch Ausweise kontrolliert wurden. Die persönliche Reisefreiheit, die Freiheit, überall in Europa leben und arbeiten zu können, ganz egal, wo ich bin, und überall auf die gleichen Rechte und Mindeststandards zugreifen zu können: Das ist etwas, das vielen Bürgerinnen und Bürgern noch gar nicht so klar ist, was das für ein wahnsinniger Vorteil ist, den wir da haben. Oder auch die Niederlassungsfreiheit für Unternehmen: Ich muss heute nicht mehr den Nationalstaat fragen, ob ich eine Niederlassung in Polen in Ungarn, in Schweden oder wo auch immer aufmachen kann oder darf. Und was man auch nicht verkennen sollte: Wir haben hier mit der EU den größten Wirtschaftsraum weltweit geschaffen. Rund 65 Prozent unseres gesamten Warenverkehrs werden in der EU selbst abgewickelt; nur 35 Prozent des Warenverkehrs gehen in den Export außerhalb der EU. Dieser weltweit einmalige Wirtschaftsraum sichert unseren Wohlstand und den Frieden in Europa.

Wo sehen Sie Europa in 25 Jahren?

Dr. Marc Schrameyer: In der Süddeutschen Zeitung habe ich eine Forderung nach „Vereinigten Staaten von Europa“ gelesen. Und ja: Eigentlich ist das die Perspektive, die wir brauchen. Wir arbeiten ja sogar Stück für Stück darauf hin. Ein gemeinsamer EU-Verfassungsentwurf ist leider gescheitert, weil sich nicht alle Länder darauf einigen konnten. Wenn wir aber das Projekt Europa weiter voranbringen wollen, werden wir um eine gemeinsame Verfassung und Regierung nicht herum kommen. Wir müssen den Mut haben, diesen Schritt gemeinsam irgendwann zu gehen.