Selbstbestimmt in Würde sterben

Die Netzwerker im Palliativnetz Emsdetten-Greven-Saerbeck mit Ansgar Kaul, Fachbereichsleiter im Caritasverband (5. von links) und dem Ehepaar zur Nieden (4. und 6. von rechts), die auf einer Fachtagung in der Jugendkirche Mary´s in Greven zum „Umgang mit dem Sterbefasten“ referierten. Foto: Caritas

Emsdetten

Emsdetten/Greven/Saerbeck. Ein Thema, das in der öffentlichen Diskussion keinen großen Raum einnimmt, aber offensichtlich doch viele beschäftigt, rückte das Palliativnetz Emsdetten-Greven-Saerbeck jetzt in den Mittelpunkt. „Umgang mit dem Sterbefasten“ hieß der Titel der 13. Fachtagung des Netzes, zu der mehr als 100 Interessierte in die Jugendkirche „Mary´s“ in Greven kamen.

„Heiß diskutiert und nicht einfach“, beschrieb Ansgar Kaul, Fachbereichsleiter beim Caritasverband Emsdetten-Greven, das Thema. Was ist menschenwürdig, was ist juristisch zu bedenken, spannte er den Bogen der Fragestellungen auf.

Antworten kamen von zwei Experten und Praktikern: Christiane und Hans-Christoph zur Nieden. Sie ist Heilpraktikerin für Psychotherapie und hat 2010 ihre Mutter beim Sterbefasten begleitet. Ihr Mann ist Arzt und Palliativmediziner. Zusammen haben sie das Buch „Umgang mit dem Sterbefasten – Fälle aus der Praxis“ geschrieben, das ihren ersten Buch-Überblick über das Thema aus dem Jahr 2016 erweitert und in diesen Tagen erscheint.

Aus der Neuerscheinung stammten die Geschichten der Menschen, die das Ehepaar in Greven schilderte und nach Beispielen für Grundlegendes abklopfte. Das Verbindende: Immer ist der Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit freiwillig. Die Entscheidung fällt bewusst, explizit und im Leben, nicht im Sterben. „Irgendwann mit 88 Jahren hat meine Mutter keine Lust mehr gehabt, es ging nicht mehr“, schilderte Christiane zur Nieden ihren wohl persönlichsten Fall von Sterbebegleitung. Die Altersgebrechen wurden zu viel. Viel habe sie mit ihrer Mutter diskutiert, sie auch von ihrem Vorhaben abzubringen versucht. Wo in Deutschland die aktive Sterbehilfe verboten und die passive Sterbehilfe rechtlich sehr schwierig seien, „blieben bloß noch Zug, Brücke oder Sterbefas-ten“, so Christiane zur Nieden. Diese 13 Tagen seien eine wertvolle, gemeinsame Zeit geworden, in der sie auch viel mit ihrer Mutter gelacht habe, Abschiede möglich gewesen seien, schilderte Christiane zur Nieden.

In diesem ersten wie in folgenden Fällen sei häufig der Durst eine große Hürde gewesen, so die Heilpraktikerin. Auf der anderen Seite hätten Diagnosen wie fortgeschrittene periphere arterielle Verschlusskrankheit oder ALS den Entschluss gestützt, freiwillig zu sterben. Leicht seien diese Entscheidungen nie gewesen und die erste Phase des Sterbefastens biete jederzeit die Möglichkeit zur Umkehr. Schmerzen sind mit Medikamenten in Zusammenarbeit mit dem Hausarzt oder Palliativmediziner gut behandelbar, erklärte der Palliativmediziner Hans-Christoph zur Nieden. Wichtig sei für Sterbewillige und Angehörige zu wissen, worauf sie sich für bis zu mehreren Wochen einlassen, und sich vorzubereiten. Auch rechtliche Aspekte und das rechtzeitige Erstellen von Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung seien zu beachten.

Der Paragraf 217, der Hilfe zur Selbsttötung unter Strafe stellt, sei vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte wichtig, erklärte Ansgar Kaul am Ende. Die Diskussion über Änderungen müsse aber mit der steigender Lebenserwartung und zunehmenden Alterskrankheiten nun beginnen. „Irgendwann darf auch Schluss sein“, plädierte Kaul. Werbung für das Sterbefasten als gesellschaftliche „Problemlösung“ wolle niemand machen, erklärte Christiane zur Nieden. Aber die individuelle Möglichkeit eines selbst bestimmten Endes in Würde sollte für die Menschen möglich sein.


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