Erster Schulabschluss des Lebens mit 37 Jahren

Ali (links) und Araf (rechts)Foto: privat

Rheine

Rheine. Zwei Schüler der Abendrealschule in Rheine sind am letzten Schultag besonders stolz auf ihre Zeugnisse: Ali und Araf, Flüchtlinge aus Afghanistan, haben ihre ersten Schulabschlüsse des Lebens geschafft – und das mit 37 Jahren. Der Weg zu diesem Erfolg war lang.

„Ich habe nie in meinem Leben eine Schule besucht“, so Ali, der 2015 mit seiner Frau und zwei Kindern nach Deutschland gekommen ist. „Erst hier in Rheine habe ich zum ersten Mal erfahren, wie es ist, auf einer Schulbank zu sitzen und dass man sich im Unterricht melden muss oder wozu ein Geodreieck dient“, zählt er auf. Mit strahlenden Augen zeigt er sein Zeugnis und betont: „Jetzt habe ich einen Hauptschulabschluss und kann endlich eine Ausbildung machen. Mein Traum ist es nämlich, in Zukunft Häuser zu bauen. Das interessiert mich sehr.“

Ali wurde in Afghanistan geboren. Als er fünf Jahre alt war, ist seine Familie vor dem Krieg und dem ständigen Leben in Angst in den Iran geflüchtet. Dort lebten sie mit einer Duldung fast 30 Jahre lang. „Die afghanischen Flüchtlinge dürfen im Iran nicht zur Schule gehen. Wir waren dort nicht willkommen“, so Ali. Er will aus Angst um seine Familie, die noch dort geblieben ist, seinen vollständigen Namen nicht veröffentlichen. „Ich habe schon als Kind in einer Fabrik gearbeitet, Schrauben produziert, dann auf Baustellen das Fliesen und Mauern gelernt. Mit 27 habe ich mir ein Buch gekauft und alleine das Schreiben und Lesen gelernt“, erinnert er sich.
Sein Freund Araf, der auch seit der Kindheit auf der Flucht ist, hatte mehr Glück: Er durfte drei Jahre die iranische Schule besuchen. Dann hat er nach eigenen Angaben als Schweißer gearbeitet – „ohne Abschluss, ohne Ausbildung, das ist dort so normal.“.

Was ihnen in Deutschland gefällt? „Das deutsche Schulsystem ist toll: Jeder, der fleißig ist und lernt, hat hier eine Chance!“, sagt Araf. Was ist nicht so schön in ihrer neuen Heimat? „Die Menschen hier trinken viel zu viel Alkohol, das macht den Kopf kaputt“, lacht Ali. „Sonst bin ich zufrieden. Das Leben für Frauen und Kinder ist hier viel besser!“, setzt er fort.

Die Abendrealschule Rheine hat ein spezielles Konzept entwickelt: Die Schüler mit Zuwanderungsgeschichte können hier zuerst in einem Vorkurs die deutsche Sprache erlernen. „Gleichzeitig werden sie aber auch in Mathematik, Englisch, Geschichte und Naturwissenschaften unterrichtet“, sagt die Schulleiterin Christiane Beckmann-Veerkamp. „Das ist notwendig, damit die Zuwanderer so schnell wie möglich in den Bildungsgang und damit in die Regelklassen einsteigen können“, ergänzt sie. In der Regelklasse beginnt nämlich der Weg zu einem Hauptschulabschluss oder zu der Mittleren Reife. 280 Schüler, etwa 30 Prozent davon mit Migrationshintergrund, bekamen jetzt in der Abendrealschule Zeugnisse.


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