Rheine. Gut fünfeinhalb Jahre besteht der Verein Historische Altstadt Rheine e.V. Seit der Gründung im Januar 2019 und der Verantwortungsübernahme des Traufenhauses an der Münstermauer 27 (MM27) hat sich sehr viel Restauratorisches getan und noch viel mehr wurden viele neue Erkenntnisse zu einem der ältesten Häuser in Rheine gewonnen.
Trotz seiner scheinbaren Unscheinbarkeit ist das historische Kleinod, welches der Verein auf der Grundlage eines langfristigen Überlassungsvertrages mit der Stadt Rheine betreut, inzwischen wiederholt sogar in Fachkreisen ins „Gerede“ gekommen.
Komplette Bauforschungsakte für das Stadtarchiv
Ein von vielen Bauexperten und Denkmalspezialisten besonders Lob erhielt der Verein wegen seines systematischen und gewissenhaften Vorgehens bei der Haus- und Bauforschung des Gadems (historische Bezeichnung für ein kleines, meist nur aus einem Raum bestehendes Gebäude/Haus) an bzw. auf der alten Stadtmauer von Rheine.
Die vollständige Forschungsakte des Bauhistorikers Laurenz Sandmann, der von Frühjahr 2019 bis zum Herbst 2023 hunderte von Arbeitsstunden mit diesem einzigartigen Baudenkmal verbracht hat, wurde nun als eines von zwei Exemplaren dem Leiter des Stadtarchivs Maik Angerhausen übergeben.
Nach dem eigentlichen Abschluss der Forschungsarbeiten im Sommer 2020 entschied sich der Vorstand auf Empfehlung der Forscher und der Denkmalbehörden noch einige als wichtig erkannte Bereiche forscherisch unbedingt zu Ende zu bringen und diverse Zusatzforschungen in Auftrag zu geben.
Dabei betrafen die laufenden Arbeiten in erster Linie den Durchgang zur Ziegentreppe, Strukturen und Merkmale der Seitenwand im EG zum Nachbarhaus Nr. 25 sowie Untersuchungen zur Kaminstelle. Darüber hinaus wollte die archäologische Abteilung des LWL noch den Füllschutt eines Mauerdurchbruchs im früheren Küchenraum untersuchen. Weiterhin war und ist es das Anliegen des Vereins, nach fertiger Restaurierung des Hauses die historischen Befunde und Forschungsergebnisse so zu präsentieren, dass sie gut und anschaulich in die analoge oder digitale Erkundung von MM27 integriert werden können.
Bezüglich der Übergabe der Forschungsakte sagte der Vereinsvorsitzende Dr. Peter Rohlmann: „Dem Verein ist es wichtig, die gesamte Bürgerschaft von Rheine sowie die interessierte Öffentlichkeit umfänglich und transparent an den verfügbaren Informationen zu dem historischen Kleinod teilhaben zu lassen, damit jung und alt erkennen, wie einzigartig und besonders dieses aus dem 16. Jahrhundert stammende Stadtmauerhaus nicht nur für Rheine, sondern auch darüber hinaus ist.“ Zahlreiche renommierte Organisationen wie z.B. die deutsche Stiftung Denkmalschutz, die Stiftung Kleines Bürgerhaus und viele Historiker sehen in MM27 ein „steinernes Heimatzeugnis“, wie es in Deutschland nur noch ganz wenige gibt, zumal es das einzige ist, welches noch eine sog. „Ziegentreppe“ aufweist.
Die Forschungsakte wird nicht die einzige Möglichkeit bleiben, nach Informationen über das Stadtmauerhaus zu suchen, sondern im Herbst wird dazu eine Buchdokumentation erscheinen. Es handelt sich um einen Sammelband zur Bau- Sozial- und Heimatgeschichte des historischen Traufenhauses aus dem 16. Jhdt. an der Münstermauer 27 mit Beiträgen von Ina Scharrenbach (Ministerin der Landesregierung NRW), Dr. Martin Sommer (Landrat Kreis Steinfurt), Dr. Peter Lüttmann (Bürgermeister der Stadt Rheine), Dr. Fred Kaspar (1985 bis 2018 Konservator bei der LWL-Denkmalpflege, Vors. der Stiftung Kleines Bürgerhaus), Marcus Brokmann (Praktische Denkmalpflege beim LWL), Dr. Peter Rohlmann (1. Vors. Historische Altstadt Rheine e.V.), Dipl. Ing. Bernhard Busch (2. Vors. Historische Altstadt Rheine e.V.) und Dipl. Ing. Christoph Achterkamp (Architekt und Leiter Restaurierung), Laurenz Sandmann (Haus- und Bauforscher), Stefanie Remberg (ehrenamtliche Denkmalbeauftragte der Stadt Rheine), Angelika Pries (Gästeführerin und Historikerin), Angelika Eilting (Pädagogin), Marlene Remberg (Preisträgerin des Geschichtswettbewerbs beim Bundespräsidenten), Reiner Wellmann (Journalist und 1. Vors. Städtepartnerschaft) sowie Vertretern der Familie Brüning, die über 200 Jahre in MM27 gelebt hat.
Der geheimnisvolle Stadtmauerdurchbruch (s. Foto) ist ebenfalls dokumentiert
Im Spätsommer 2019 freigelegte “geheimnisvolle Tür” im rund 700 Jahre alten Stadtmauerfundament wurde inzwischen vom Füllschutt befreit und zum Vorschein kam ein mit roten Ziegelsteinen gemauerter steiler Treppenabgang unter dem rechten Erdgeschossraum. Dieser Abgang war früher durch eine Falltür aus dem zuletzt als Küche genutzten Raum zu erreichen, musste aber beim Umbau im Jahre 1910 laut Bauauflage der Stadt Rheine verfüllt bzw. zugeschüttet werden, was letztlich mit einer Handskizze und einem Vermerk des städtischen Beamten am 20. April 2015 bestätigt worden ist.
Die Herstellung des Durchgangs durch das Stadtmauerfundament liegt jedoch wohl viele Jahre weiter zurück. Zum Beispiel liegt ein Schreiben an den Magistrat der Stadt Rheine von Gerdt Heinrich Brüning vor, datiert vom 13. Februar 1776 vor, in welchem er an die Obrigkeit den Antrag stellt, „hinter seinen Hauße gegen Süden … eine Thür auff seine Kosten zu legen“.
Ob der Durchgang nun aus dieser Zeit stammt, konnte nicht eindeutig nachgewiesen werden. Allerdings spricht einiges dafür, weil Gerdt Brüning noch für einige Anwohner mehr geschrieben hat (unter anderem Joan Meyer, Everd Bruning, Berncken Haegemann), um schneller die auf den Stadtgraben errichteten Gärten hinter der Stadtmauer zu erreichen und vor allem im Brandfalle einen schnelleren Rettungsweg aus der Stadt zu schaffen.