Raus aus der Isolation: Leben mit Lipödem

Das genaue Vermessen ist für die Anpassung der Kompressionsstrümpfe notwendig – doch oft auch schmerzhaft. Dank neuester Technik kann diese Prozedur inzwischen „erträglicher“ gestaltet werden. Nina Uhlenbrock (l.) steht in einem speziellen Gerät, welches mittels Infrarot-Sensoren die Beine in nur 60 Sekunden exakt und dreidimensional vermessen kann. Foto: Tholl

Steinfurt

Kreis Steinfurt (at). Wie lebt es sich mit einer Krankheit, die für jeden sichtbar, aber nicht erkennbar ist? Das Lipödem ist eine krankhafte Fettverteilungsstörung – für die Betroffenen bedeutet das nicht nur große Schmerzen, sondern auch viel Unverständnis in der Gesellschaft. Nicht selten geht mit dieser Krankheit eine soziale Isolation einher.

Nina Uhlenbrock, selbst Lipödem-erkrankt, gründete im Kreis Coesfeld eine Selbsthilfegruppe – und erhielt so viel Zuspruch, dass sie nun auch im Kreis Steinfurt aktiv ist. Sie möchte offensiv mit dieser Krankheit umgehen und die Menschen dafür sensibilisieren, was es bedeutet, mit dem Lipödem leben zu müssen. Zum Verständnis: Beim Lipödem kommt es zu einer unnatürlichen Vermehrung von Fettzellen, insbesondere in den Armen und Beinen. Experten vermuten, dass dies hormonellen Ursprung hat, doch die eigentliche Ursache ist bis heute nicht geklärt. Damit einher gehen extreme Umfangsvermehrungen an den Extremitäten sowie eine intensive Berührungsempfindlichkeit. Je nach Stadium kann schon die Berührung mit einem Maßband Schmerzen verursachen. Für die Außenwelt wirken betroffene Personen dick, nicht selten werden sie als fettsüchtig bezeichnet und sehen sich vieler negativer Blicke und Sprüche ausgesetzt. „Viele Mitglieder der Selbsthilfegruppe trauen sich kaum noch aus dem Haus, sie können die negativen Reaktionen einfach nicht aushalten. Allein die Erkrankung ist schon schwer zu ertragen, da ist es psychisch umso schwerer, auch noch böse Blicke und Sprüche zu ignorieren“, erzählt Nina Uhlenbrock.

Dabei können Lipödeme nicht durch Abmagerungskuren bekämpft werden. Sollte ein Mensch, der am Lipödem erkrankt ist, übergewichtig sein, ist eine Abnahme natürlich immer von Vorteil – aber nicht das Heilmittel für diese Krankheit. Nur sogenannte Lipsuktionen – Fettabsaugungen – können zumindest temporär helfen. Diese werden aber in der Regel nicht von den Krankenkassen bezahlt. Zur konservativen Therapie gehört das Tragen von Kompressionsstrümpfen sowohl an den Beinen als auch an den Armen. Der dadurch aufgebaute, gleichmäßige Druck verringert unter anderem die Schmerzen.

„Doch damit schauen die Menschen noch kritischer, immerhin sind die Strümpfe nicht gerade unauffällig, insbesondere im Sommer“, erzählt Nina Uhlenbrock. Zum Glück sind die Hersteller inzwischen so weit, dass aus den öden, einfarbigen Kompressionsstrümpfen modisch ansehnliche Produkte geworden sind. „Aber die Krankenkassen zahlen in der Regel halbjährlich nur ein Paar Kompressionsstrümpfe – länger halten diese auch nicht der Belastung stand. Also hat man nicht wirklich viel Auswahl zu Hause“, erzählt Nina Uhlenbrock, die sich inzwischen beruflich auf dieses Thema spezialisiert hat.

„Ich möchte Menschen nicht nur körperlich helfen, sondern sie vor allem aus der sozialen Isolation holen. Das geht nur durch gemeinsame Treffen – und diese halten wir ganz individuell. Die Teilnehmer entscheiden gemeinsam, wo das nächste Treffen stattfindet. Das kann auch mal bei einer gemeinsamen Zumba-Stunde der Fall sein“, schmunzelt Nina Uhlenbrock. Außerdem ist es ihr wichtig, möglichst viele Ärzte für diese Krankheit zu sensibilisieren. „Ist man dick, hat Schmerzen und geht zum Arzt, sagt dieser nicht selten: Nehmen Sie erst einmal ab. Machen wir uns nichts vor:

Viele an Lipödemen Erkrankte sind auch übergewichtig, aber die Abnahme ist keine Hilfe für den akuten Fall. Die Ärzte sollten zweimal mehr hinschauen, wenn jemand mit sehr dicken Armen oder Beinen in der Praxis auftaucht. Gerade Gynäkologen sehen Frauen in vielen hormonellen Phasen und ohne Hose – sie könnten sicherlich öfter Anfangsstadien entdecken und die Patientinnen zu Fachärzten schicken.“ Denn auch wenn die Krankheit nicht geheilt werden kann: Wird sie rechtzeit erkannt, kann ihr Verlauf deutlich verzögert werden.

Wer sich nun angesprochen fühlt, mehr über das Krankheitsbild erfahren oder sich der Selbsthilfegruppe anschließen möchte, kann sich an die Selbsthilfe Kontaktstelle unter der Telefonnummer 02541 / 9260222 wenden. Oder schauen Sie einfach mal auf die Facebook-Seite www.facebook.com/liplife.de .


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