Selbst der Ohrwurm fehlt

Das „Collegium musicum Steinfurt“ in besseren Zeiten, die hoffentlich wieder kommen werden! Foto: privat

Steinfurt

Steinfurt. Der Lockdown eines Laienorchesters mag ein Luxusproblem sein. Doch auch er sorgt für Mangel. Christoph Liebsch, Geiger und Organisator des Amateurorchesters „Collegium musicum Steinfurt“, hat die Mitglieder seines Ensembles gefragt, wie sie die Zwangspause des Kammerorchesters erleben.

 

 

Ein Dienstagabend, zwanzig vor acht. Normalerweise würde Christoph Liebsch jetzt seinen Geigenkoffer im Auto verstauen, zügig zur Nikomedesschule fahren und den Probenraum in der dritten Etage aufschließen. Doch die neue Normalität wird weiterhin von Corona diktiert, und das Collegium hat – wie so viele Musikensembles – seine Proben schon vor über einem Jahr eingestellt. Lange hofften die Mitglieder des Amateurorchesters ihr für 2020 vorbereitetes Programm wenigstens im Frühjahr 2021 präsentieren zu können. Doch kürzlich mussten auch die für Mai geplanten Auftritte in der Bagno-Konzertgalerie abgesagt werden.

„Meine Geige darf im Moment viel schlafen“, gibt eine der Spielerinnen zu. „Denn allein im stillen Kämmerlein macht das Musizieren nicht so viel Spaß.“ Für viele kommt hinzu, dass chronische Zeitnot sich durch die Pandemie verstärkt.
So fühlen sich die im Collegium mitspielenden Lehrerinnen hin- und hergerissen zwischen Präsenzpflicht an der Schule, Distanzunterricht vom heimischen Schreibtisch aus und Beaufsichtigung der eigenen Kinder – die älteren im Home-Schooling, die jüngeren am Rockzipfel: „Gestern und heute jeweils acht Stunden Online-Unterricht, aber gleichzeitig Kleinkind-Betreuung wegen geschlossener Tagespflege. Und Ehemann nicht daheim“, schreibt ein Mitglied.

„Meine Mann- und Kinderlose Zeit nur für mich! Die vermiss ich! Tür zu, Kind und Mann bleiben daheim, und ab zum Orchester!“ 
Ein Orchestermitglied

Bewundernswert, dass die meisten dennoch Wege finden, musikalisch aktiv zu bleiben. Dankbar ist, wer zumindest Duo spielen kann, zum Beispiel unkompliziert mit der Ehefrau oder mit Angehörigen aus dem eigenen Haushalt. Eine Spielerin musiziert mit ihrer Freundin über Facetime. Der Flötist des Orchesters wagt mittlerweile wieder mit seinem langjährigen Freund und Duopartner zu proben. Nach beidseitiger erster Impfung und jeweiligem Schnelltest.

Eine Geigerin berichtet lachend, ihren Instrumentenkoffer kürzlich „abgestaubsaugt“ zu haben, da „die Staubschicht so dick war, dass ein bloßes Tuch nicht ausgereicht hätte.“ Aber sie setzt sich gelegentlich ans Klavier und erträgt stoisch, dass ihre Kinder sofort in Geschrei ausbrechen, weil sie sich beim Hören der eigenen Musik gestört fühlen. Je kleiner die Kinder, desto größer ist dabei oft der Spaß. „Ich mache Musik mit meinem dreijährigen Sohn“, erzählt die Konzertmeisterin. Andere musizieren gelegentlich für sich. Probieren aus, „ob es noch geht“, ziehen Stücke aus der Schublade, die sie vor 20 oder 30 Jahren gespielt haben.

Ein Gefühl von Mangel: Es fehlt die musikalische Gemeinschaft, „das gemeinsame Musizieren mit lieben und geschätzten Gleichgesinnten und die kontinuierliche Erarbeitung wunderbarer Werke.“ Besonders die Konzerte fehlen, als gemeinsames Ziel im Großen. Im Kleinen fehlt die Geselligkeit, der Plausch mit den anderen Orchestermitgliedern. Und nicht zuletzt ein gewisser persönlicher Freiraum – für manche der einzige: „Meine Mann- und Kinder-lose Zeit nur für mich! Die vermiss ich! Tür zu, Kind und Mann bleiben daheim, und ab zum Orchester!“

Christoph Liebsch selbst ist durchaus froh über vorübergehende Entlastung von umfang- und detailreichen Organisationsarbeiten rund ums Orchester. Dennoch wünscht er sich sehnlich, dass das Collegium die beiden Adventskonzerte in Borghorst und Emsdetten – traditionell am dritten Adventswochenende – durchführen kann.


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