Saerbeck. Vertreter von zivilgesellschaftlichen Organisationen (NGO), regionaler Verwaltung und Regierung in der Ukraine waren jetzt für anderthalb Tage Gast in der Klimakommune Saerbeck. Es ging um Kohleausstieg und eine faire Energiewende.
Die Besucher stammen aus der östlichen Ukraine, aus den seit dem russischen Angriff auf das Land besetzten Regionen Donezk und Luhansk. Zur Gruppe gehörten unter anderem Andriy Silych, früherer Bürgermeister der Bergbaustadt Wuhledar, die im Frühjahr bekannt wurde als Schauplatz heftiger Kämpfe, und Hanna Telychko von der NGO „Region der nachhaltigen Entwicklung“, einer Plattform der Kohle-Städte der Oblast Donezk. Mit dabei waren auch ein Vertreter der Minenarbeiter-Gewerkschaft und ein Regionalplaner des ukrainischen Ministeriums für Infrastruktur.
In der Klimakommune Saerbeck standen am Dienstag und Mittwoch dicht gepackt Informationen, Gespräche und Fragerunden auf dem Programm. Bemerkenswert gleich zu Beginn: Der vorübergehend nicht amtierende Bürgermeister von Myrnohrad, Oleksandr Brykalov, begann seine Vorstellung zwar mit der aktuellen Situation in dem russisch besetzten Regionalzentrum. Er umriss aber direkt anschließend Entwicklungspläne für eine Nachkriegszeit in der heutigen Kohle-Stadt.
Der Besuch der ukrainischen Delegation in Saerbeck ist Teil der EU-Initiative für Kohleregionen in der Energiewende im Westbalkan und der Ukraine. Dieses Programm, das auf östliche und südöstliche Nachbarländer der EU zielt, läuft seit Dezember 2020. Es soll diesen Ländern und ihren Regionen helfen, die Wende weg von fossiler Verbrennung und hin zu einer CO2-neutralen Wirtschaft gerecht zu gestalten. Bei dieser Aufgabenstellung ist das Sekretariat der Initiative in einer europaweiten Suche neben der Metropolregion Rhein-Ruhr unter anderem mit Gelsenkirchen und Bochum und der ehemaligen Bergbaustadt Ibbenbüren auch auf die Klimakommune Saerbeck gekommen. Ihr widmeten die Organisatoren eineinhalb der drei Tage.
Wie sich die Klimakommune seit dem Erfolg im NRW-Landeswettbewerb 2009 entwickelt hat, zeigte Bürgermeister Dr. Tobias Lehberg am Dienstagvormittag auf. Eher ungewohnt waren dabei die Headsets auf dem Kopf und die Dolmetscher-Boxen im Bürgersaal. Lehberg betonte, es gehöre zum Erfolgsrezept der Klimakommune, dass es immer darum gehe, die Menschen zu informieren, zu interessieren, zu überzeugen und für das Mittun bei der Energiewende zu begeistern.
Dass dies in Saerbeck gelungen ist und weiter gelingt, belegte er unter anderem damit, dass auf rund einem Drittel aller Privatdächer eine Photovoltaikanlage installiert sei und aktuell die Wärmewende als Phase zwei des Klimakommune-Projekts mit breiter öffentlicher Beteiligung laufe und das Handlungskonzept mittlerweile beschlossen sei. Grüne Energie werde zunehmend zu einem Standortfaktor, sagte Lehberg mit Verweis auf die Ansiedlungsentscheidung des Wasserstoffunternehmens Enapter.
Die Besucher aus der Ukraine bekamen des Weiteren Einblicke in den Bioenergiepark und die dort aktiven Unternehmen und Forschungseinrichtungen wie die FH, die Vernetzung mit dem Kreis Steinfurt und den aktuellen Stand des Projekts „kalte Nahwärme“ im Neugebiet Hanfteichweg.
Themen, die die Delegation besonders interessierten, waren Förderkulissen und Wirtschaftlichkeit erneuerbarer Energien, Bürgerbeteiligungsprozesse und Bildungskonzepte, Wasserstofftechnik und der weitere Austausch mit Saerbeck.
Bei den erklärten Zielen der EU-Initiative, Hilfe zu leisten beim Aufbrechen bestehender fossiler und oft zentralistischer Strukturen hin zu kleinteiligerer erneuerbarer Energie hieß die übergeordnete Frage aus der Ukraine: „Wie kann man das selbst und vor Ort machen?“ Für Antworten darauf ist die Klimakommune Saerbeck nicht der schlechteste Ort.
Das sagen Ukrainer
Bis der Krieg alle laufenden Bemühungen abrupt stoppte, wollte Myrnohrad Pilotgemeinde der Energiewende werden und etwa die Wärmeversorgung auf Grubenwasser umstellen und Bergbauabraum als Baustoff nutzen. Das erklärte der vorübergehend nicht am-tierende Bürgermeister Oleksandr Brykalov. Ein Plan waren Bürgerenergiegenossenschaften für die Stromversorgung. Nach jahrzehntelanger starker Abhängigkeit von der Kohle „müssen wir neue Industriebereiche finden“, erklärte Brykalov. Und er zeigte sich zuversichtlich: „Die Menschen waren nach dem Kriegsausbruch zunächst erschüttert, aber jetzt halten wir zusammen und sind proaktiv.
Seit Jahrzehnte fördern Tausende Bergleute in Wuhledar hochwertige Heiz- und Kokskohle. Die Reserven sind immer noch groß, während bereits vor dem russischen Angriff erste Zechen geschlossen wurden. In Wuhledar sei die Zerstörung groß, beklagte der ehemalige Bürgermeister Andriy Silych. Alle Pläne zur Energiewende könnten nach ersten Erfolgen zurzeit nicht weiter umgesetzt werden. Noch vor 2022 habe man etwa den Heizenergiebedarf um gut ein Drittel verringern können.
Ihm sei es schwergefallen den Vortrag für Saerbeck vorzubereiten, „weil mir dabei das Ausmaß der Zerstörung wieder einmal bewusst geworden ist und dass unsere vielen Pläne für eine nachhaltige Entwicklung bis auf Weiteres nicht weiter umgesetzt werden können“, sagte Silych. „Das Wichtigste ist der Sieg, die Gemeinde wiederaufzubauen und die Menschen zurückzuholen“, sagte Silych.