Wer hat die Zahlen erfunden?

Das Pferd auf dem Bild hieß „Der Kluge Hans“. Das Tier konnte angeblich zählen und sogar Rechenaufgaben lösen. Leider stellte sich heraus, dass Hans nicht wirklich zählen konnte, dafür aber sehr aufmerksam die Menschen beobachtete, wenn er Aufgaben löste. Mit dem Huf stampfte er solange, bis ihm die Reaktion der Zuschauer verriet, dass er die richtige Anzahl erreicht hatte. Dann hörte er auf. In 90 Prozent der Fälle erriet das Tier auf diese Weise die richtige Lösung. Wenn der Aufgabensteller und das Publikum die Lösung selbst nicht kannten, konnte auch der Kluge Hans die Lösung nicht „erraten“. Foto: unbekannt

(hp) Über die Fähigkeit des Zählens oder Rechnens verfügen höchstwahrscheinlich nur wir Menschen. Wissenschaftler haben allerdings herausgefunden, dass brütende Vögel bemerken, ob ihnen ein Ei aus dem Gelege genommen wurde, und auch viele Hunde können entscheiden, in welchem von zwei Futternäpfen eine größere Zahl von Hundekuchen liegt. 

 

 

Wirklich zählen oder gar rechnen können aber weder Vögel, Hunde noch andere Tiere. 

Sie können lediglich unterschiedlich große Mengen von Dingen – meist Futter – vonein­ander unterscheiden. Einen Begriff von der „Anzahl“ dieser Dinge haben die Tiere aber nicht. Einem Vogel ist nicht bewusst, dass er „sechs“ Eier gelegt hat, jetzt aber nur noch „vier“ in seinem Nest liegen. Der Vogel bemerkt lediglich, dass es „weniger“ Eier sind als vorher.

Dieses Erkennen von „weniger“ oder „mehr“ funktioniert bei Tieren aber nur mit kleinen Mengen: So kann ein Hund gerade noch begreifen, dass 6 Hundekuchen mehr sind als 4 Hundekuchen, bei größeren Zahlen aber versagt er: Den Unterschied zwischen 10 und 8 Hundekuchen erkennt keines der Tiere mehr.
Einen Begriff von Zahlen können weder Hund noch Vogel noch irgendein anderes Tier schon darum nicht haben, da alle Zahlen wie zum Beispiel „Eins“, „Zwei“, „Zehn“ oder „Siebzehn“ Wörter sind – genauer: „Zahlwörter“. Das Benutzen von Wörtern setzt aber das Beherrschen von Sprache voraus – und darüber verfügt nur der Mensch.

Das älteste Zeugnis dafür, dass Menschen bewusst etwas gezählt haben, könnte der „Ishango-Knochen“ sein: Im Jahr 1950 fanden Archäologen in Afrika einen geschätzt 20.000 Jahre alten Knochen, in den Menschen mehrere Reihen von Kerben geschnitten haben. Möglicherweise diente der Knochen als Hilfe beim Zählen oder Rechnen.

Vielleicht wurden die Kerben aber auch nur zum Abzählen von Dingen nach dem Muster „einer, noch einer, noch einer, noch einer...“ verwendet. Dann handelt es sich streng genommen lediglich um ein „Strichlistensystem“, das nur die Zahl 1 kennt, jeweils dargestellt durch eine Kerbe – und nicht um ein echtes Zahlensystem.

Ein Zahlensystem kennt eine bestimmte Menge an Zahlen und Zahlwörtern, aus denen alle anderen Zahlen gebildet werden können. Unser Zahlensystem, das Dezimalsystem, kennt zum Beispiel die Zahlen von null bis neun. Ein anderes Zahlensystem ist zum Beispiel das der Römer in der Antike: Es kennt die Zahlen 1, 5, 10, 50, 100, 500 und 1000 – dargestellt durch die Buchstaben l, V, X, L, C, D und M – und bildet hieraus alle anderen Zahlen.

Einige Wissenschaftler vermuten, dass die Menschen mit dem Verwenden echter Zahlen und Zahlwörter erst begannen, als sie erstmals vor ungefähr 11.000 Jahren sesshaft wurden und mit dem Ackerbau und der Viehzucht begannen. Denn als Viehzüchter ist es natürlich wichtig, stets die genaue Anzahl der Tiere seiner Herde zu kennen und benennen zu können.

Und vielleicht noch wichtiger war es für die Bauern, die Monate und Tage zu zählen und damit die Zeitpunkte von Aussaat und Ernte zu berechnen.

Autor: Holger Podszun