Durch Trauer zurück ins Leben

Doris Heine (rechts) und Barbara Benterbusch (links), durchführende ehrenamtliche Mitarbeiterinnen des Gesprächskreises „geboren und verloren“, mit Anja Gloddek-Voß, Koordinatorin des Ambulanten Hospizdiensts Emmaus beim Caritasverband. Foto: Caritasverband Emsdetten-Greven

Emsdetten

Emsdetten/Saerbeck/Greven. Der frühe Tod eines Kindes erschüttert das Leben der Eltern zutiefst. Eine Mutter und ein Vater haben in dieser Situation Hilfe im Gesprächskreis „geboren und verloren“ des Ambulanten Hospizdienstes Emmaus beim Caritasverband gefunden.

Beide möchten in diesem Interview anonym bleiben. Sie erzählen sehr persönlich von der großen Welle der Trauer, wie alles plötzlich stillsteht und wie der Kontakt mit anderen in ähnlichen Situationen ihnen geholfen hat, den Weg zurück ins Leben zu beginnen.

Was ein solcher Schicksalsschlag, wie Sie ihn erleben mussten, für Mütter und Väter bedeutet, lässt sich wohl nur schwer ermessen. Würden Sie dennoch versuchen, einen Eindruck zu vermitteln?

Mutter: Das ist schwer zusammenzufassen, weil es so vielschichtig ist. Für mich ist es ein Schicksalsschlag, weil es uns ohne Grund getroffen hat. Und ein Schlag, weil es ein plötzliches Ereignis war. Alles bleibt stehen. Die Schwere hält lange an, geht in alle Bereiche des Lebens. Man muss erst einmal nachdenken, was man überhaupt tun kann, wie man überhaupt wieder ins Leben zurückfinden könnte.
Es gibt verschiedene Phasen. In den ersten Tagen fühlte ich einen permanenten Kloß im Hals. Teilweise verschlug es mir sogar die Sprache. Dann kam die Beerdigung. Und dann steht man da. Erst einmal einfach nur überleben. Später muss man sich neu sortieren. Zu der Gruppe der Mütter, die gerade ein Kind bekommen haben und diese Freude zusammen teilen, gehörte ich nicht mehr dazu. Auch das Arbeiten war ein ganz schwieriges Thema. Statt Familienglück musste ein Weg zurück in das Berufsleben gefunden werden.

Vater: Unsere Familie konnte sich anders vorbereiten. Wir wussten vorher, dass unser Kind mit einer schweren Erkrankung nicht gesund zur Welt kommen wird. Dass diese Erkrankung zum Tod führte, war jedoch nicht zwangsläufig abzusehen.

In dieser Zeit haben wir einfach nur funktioniert. Nach dem Tod unseres Kindes war da einerseits das ganz praktische Organisieren, auch der Beerdigung. Gleichzeitig schlug die Welle der Trauer zu. Gegen diese Welle kann man sich nicht wehren. Man wird weggespült. Wir waren mit einer solchen Situation noch nie konfrontiert. Ich konnte unser Kind einfach nicht gehen lassen. Unter einem erodiert alles, man stellt plötzlich vieles in Frage. Man muss erst lernen, loszulassen, und anderen Menschen in dieser Situation zu vertrauen. Ganz besonders haben mir unsere Töchter Halt gegeben. Sie haben mich erinnert, wie schön das Leben ist und wie schön es ist, Verantwortung zu übernehmen. Mittlerweile schaffe ich es, dass die Welle der Trauer mich nicht mehr ständig überrollt, dass ich damit umgehen kann. Manchmal scheitern meine Frau und ich noch daran, für all unsere verschiedenen Rollen in Familie und Gesellschaft passende Antworten zu finden. Aber ich sehe Scheitern nicht mehr als etwas Negatives.

Man kann nicht mehr klar denken

Wie haben Sie zu dem Gesprächskreis „geboren und verloren“ gefunden?

Vater: Wenn man sein Kind verliert, kann man nicht mehr klar denken. In dieser Situation nach Ansprechpartnern suchen, geht eigentlich nicht. Deshalb ist es wichtig, dass ein solches Angebot auf einen zukommt. Wir haben zwar im Internet recherchiert. Der Hinweis auf den Gesprächskreis bei der Caritas kam dann von einer Freundin, die Frauenärztin ist. Die Initiative hat meine Frau übernommen. Vielleicht hatte ich da mehr Vorbehalte, wollte mich in meiner Trauer nicht öffnen. Schließlich war ich doch bei jedem Termin und dankbar dafür. In der Gesellschaft ist der frühe Verlust von Kindern kaum ein Thema. Hier in diesem Kreis konnten meine Frau und ich uns gut öffnen und nach der ersten Schockwelle die Dinge mit Anleitung bearbeiten.

Mutter: Der Hinweis auf den Gesprächskreis kam von einem Bekannten meines Mannes, der nach dem Tod eines Elternteils selbst Hilfe beim Ambulanten Hospizdienst Emmaus gefunden hat. Zuerst hatte ich persönlichen Kontakt mit einer ehrenamtlichen Mitarbeiterin, dann kam mein Mann dazu. Im ersten Gespräch ging es auch um die Frage: Ist die Zeit schon reif? Ich hatte in dieser Phase das Gefühl, dass mir der Boden unter den Füßen weggerissen wurde. Man braucht dann Menschen, die einen aufnehmen. Mein Mann und ich sind dann zusammen zum ersten Treffen im Gesprächskreis gegangen.

Wie sind Sie in dem Gesprächskreis aufgenommen worden?

Mutter: Von Anfang an sehr liebevoll, aufrichtig, wertschätzend. Ich habe mich wahrgenommen gefühlt. Das alles war für mich zu diesem Zeitpunkt richtig und wichtig. Und da kamen Menschen zusammen, die sich vorher nicht kannten. Es war beeindruckend, wie offen alle waren.
Vater: Ich war immer noch in einer frühen Phase der Trauer, es gab viel Verdrängung. Aber die Trauer holt einen ein. Wenn man nicht mit ihr umgeht, überrollt sie einen immer wieder. Der Gesprächskreis war für mich ein Raum der Kommunikation und der Wertschätzung. Er hat Struktur gegeben und gleichzeitig Raum für die individuellen Bedürfnisse der Teilnehmer. Ich musste zwar zuerst meinen inneren Widerstand überwinden, aber dann hat mir diese Gruppe sehr gutgetan. Ich wurde immer sehr gut hineingeholt. Es hat geholfen, mit anderen Menschen in sehr ähnlichen Situationen in Kontakt zu kommen und besonders, zu sehen, wie andere Väter mit diesen Situationen umgehen.

„Es ändert sich die Trauer“

Das Gespräch mit anderen Betroffenen – wie kann es helfen?

Mutter: Der Gesprächskreis war auf sechs bis acht Termine angelegt. Während dieser Zeit verändert sich die Trauer. Es hilft, die Parallelen zu sehen. Zum Beispiel die Frage, wie man die Rückkehr in die Arbeit gestaltet. Das kann man ja nur sehr schwer mit jemandem besprechen, der nicht in einer ähnlichen Situation ist. Es hilft, zu sehen, welche Schritte andere in ähnlicher Situation machen. Schon das Gefühl, dass es andere gibt, für die die Welt auch stehengeblieben ist, und dass man zu diesen Menschen gehört, gibt einem Halt. Auch wenn man trotzdem den größten Teil des Weges allein gehen muss.

Vater: Der Tod des Kindes verändert das Leben auf viele Weisen und über Monate und Jahre. Ich allein hätte mich gar nicht neu finden können in den vielen sozialen Rollen, die ein Mensch hat. Ein Weg für mich war dieser Raum der Kommunikation, der mitgeholfen hat, meinen eigenen Raum der Kommunikation wieder aufzuschließen. 

Der Gesprächskreis hat mir einen Perspektivwechsel ermöglicht. Ich konnte meine Situation aus dem Blickwinkel gleich Betroffener betrachten. Das geht nur mit Vertrauen. Und dieses Vertrauen war im Gesprächskreis da, auch wenn die Menschen ganz unterschiedliche Herkünfte und Hintergründe hatten. Allerdings muss man auch nicht glauben, dass man nur wegen dieses Gesprächskreises das Leben plötzlich wieder meistert. Es ist vielmehr ein Ankerpunkt in einer relativ frühen Phase der Trauer. Eine helfende Hand, welche man annehmen kann, um in einer Zeit der Orientierungslosigkeit und der Leere einen ersten Halt zu finden.

Möchten Sie andere Eltern, die früh ein Kind verloren haben, ermutigen, den Schritt Richtung Gesprächskreis zu gehen?

Mutter: Man sollte in einer solchen Situation Hilfsangeboten eine Chance geben, die dazu beitragen können, dass man wieder laufen lernt und ins Leben zurückkommt. Hinzu kommt: Die Trauer kann ein Paar erschüttern. Gemeinsame Trauerarbeit in einer Gruppe kann helfen, einen gemeinsamen Fundus zu erarbeiten, auf den man in der Beziehung zurückgreifen kann. Es ist sehr verbindend, in der Trauer einen gemeinsamen Ort zu haben.
Vater: Ich möchte Eltern, die wie wir früh ihr Kind haben gehen lassen müssen ermutigen Hilfe zuzulassen. Eine solche Hilfe bietet unter anderem dieser Gesprächskreis. Die geschulte Begleitung und der strukturierte Gesprächsrahmen können einen solchen Ankerpunkt schaffen, der es ermöglicht Trauer zuzulassen.

Die Gespräche in der Gruppe haben mir durchaus geholfen, dass mich die Flutwelle der Trauer nicht immer wieder gänzlich überrollt. Es bleiben Schmerz und Trauer, aber man kann lernen, besser damit umzugehen.


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