50 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge

Gemeinsames Kochen gehört zum Leben im Kinder- und Jugendheim für die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge dazu, auch für Mahmud (3.v.r.). Dolmetscherin Meulüde Özdag gibt Tipps dazu und hilft bei sprachlichen Hürden. Foto: Harald Westbeld/Caritas Münster

Rheine

Rheine (cpm). Mit 17 Jahren wird es für junge Männer noch gefährlicher in Syrien: Die Armee beruft sie ein.

 

Mahmud hat deshalb seine Ausbildung als Elektriker abgebrochen und ist – wie seine älteren Brüder vor ihm – aus Homs geflohen. Als einer von 50 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen lebt er in Sicherheit im Kinder- und Jugendheim der Caritas Rheine.

Aber er ist nicht untätig. „Wir dürfen keine 14 Tage warten“, drückt Heimleiter Winfried Hülsbusch aufs Tempo der Integration. Wenn möglich, werden die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge (UmF) sofort in Haupt-, Realschule oder Berufskolleg vermittelt. Ansonsten steht neben Deutschkursen der im eigenen Haus organisierte „Jugend- und Kreativworkshop Job“ morgens im Tagesplan.

Täglich erreichen Hülsbusch die Anrufe der Jugendämter. Aber mal eben einige Dutzend neue Plätze zu schaffen mit allem, was an neuen Mitarbeitern und Konzepten dafür notwendig ist, braucht wenigstens ein paar Wochen Vorlauf. Vorübergehend mussten die jungen Flüchtlinge in Rheine auch in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht werden. Aber mittlerweile sind sie fast alle auf die Wohngruppen des Caritas-Kinder- und Jugenheims Rheine verteilt. Dass der Standard „Einzelzimmer“ nicht immer eingelöst werden kann, hält Hülsbusch in der besonderen Situation für vertretbar. Weitere 16 Plätze werden derzeit auf dem Heimgelände in Wettringen vorbereitet. In den Sammelunterkünften des Jugendamtes sind die Mitarbeiter darüber hinaus für das „ambulante Clearing“ von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen tätig.

Neue Plätze sind allerdings noch die geringere Herausforderung. Die schwierigeren fangen bei der Sprache an. „Am Anfang sind Hände und Füße sehr hilfreich“, bekennt Erziehungsleiterin Brigitte Erben. Zumal es nicht nur Syrer sind, sondern ein buntes Völkergemisch unter anderem auch aus Afghanistan, Albanien oder Eritrea. Gerne hilft als Dolmetscherin Meulüde Özdag, die als Kind mit ihren Eltern aus der Türkei eingewandert ist und beruflich dolmetscht. Özdag kocht an diesem Nachmittag mit sieben jungen Männern aus Syrien. Offensichtlich sind sie nicht unerfahren – so schnell und präzise wie sie den Salat kleinhacken. Aber ein paar Tipps zu Huhn mit Reis, das heute auf dem Speiseplan steht, sind willkommen. Noch wird hier Arabisch gesprochen, aber die Bereitschaft, Deutsch zu lernen, ist groß. Dann hört Wohngruppenleiter Ferdinand Plagemann bald die Bitte: „Kannst du mehr in Deutsch mit mir sprechen?“

Der Spaß dabei kann auch helfen, „sich wieder zu trauen, Jugendliche zu sein“, beobachtet Jana Webenes, die für das psychologische Clearing verantwortlich ist. Von außen betrachtet, sähen die jungen Menschen „fit“ aus. Aber wichtig sei, herauszufinden, was sie auf der Flucht und davor erlebt haben: „Das brauchen wir, um abschätzen zu können, ob mit Trauma-Folgestörungen zu rechnen ist“, erklärt die Diplom-Psychologin. Die Flucht habe bestimmte Fähigkeiten erfordert und Erfahrungen vermittelt. Aber teilweise hätten sie die normalen Erfahrungen in der Pubertät nicht machen können.

Ausreichend für Trauma-Folgestörungen wären die Erlebnisse vieler durchaus. Mahmud spricht schon ganz gut Deutsch, aber seine Geschichte erzählt er übersetzt von Meulüde Özdag. Acht Kinder hat die Familie, aber nur drei leben noch mit der Mutter in einem Dorf bei Homs in zwei Zimmern. Die haben die älteren Brüder gebaut, als es in der Stadt zu gefährlich wurde. Mittlerweile sei das Haus der Familie dort auch zerstört. Der 17-Jährige ist auf dem klassischen Weg über die Türkei, mit dem Boot nach Griechenland und im Lkw über der Balkanroute nach Deutschland geflohen.

Sorgen macht er sich vor allem um seinen jüngeren Bruder. Der wird im kommenden Jahr 17 und müsste dann auch vor der Einberufung fliehen. Aber die Familie habe dafür kein Geld mehr. Einmal in der Woche kann Mahmud mit seiner Familie zuhause telefonieren. Die Sorge um die Angehörigen daheim belastet die Jugendlichen, ist Wohngruppenleiter Ferdinand Plagemann klar: „Manche werden auch mit dem Auftrag geschickt, die Familie zuhause finanziell zu unterstützen oder sie nachzuholen“. Damit seien sie naturgemäß überfordert.

Erst einmal müssen sie mit all dem Neuen klar kommen. Winfried Hülsbusch beobachtet, dass die Integration umso leichter fällt, je stabiler das Elternhaus gewesen ist. Natürlich gebe es mal Spannungen bei so unterschiedlichen Hintergründen, aber nichts, was die Jugendhilfe aus ihrem Alltag nicht auch sonst kennen. Für die Mitarbeitenden sei die Welt spannender und bunter geworden. „Für altgediente Kollegen ist es eine schöne Erfahrung, dass die jungen Flüchtlinge motiviert sind und etwas tun wollen“, sagt Hülsbusch: „Die Euphorie ist noch da.“

Es tut gut, wenn Mahmud sagt, dass er sich hier wohl fühlt. Seine Ausbildung zum Elektriker möchte er gerne fortführen und lernt dafür intensiv Deutsch. Sein größter Wunsch wird allerdings wohl nicht so bald in Erfüllung gehen können: Dass seine Familie nachkommen kann.


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