Weberquartier im gut­achterlichen Verfahren

Die ehemaligen Lager- und Produktionshallen verfielen zu Ruinen. Foto: Janes Friedrichs

Steinfurt

Borghorst (sf). Die Planungen für den neuen Reha-, Pflege- und Wohnstandort Weberquartier Steinfurt schreiten voran. Für den Betrieb strebt der Entwickler, die IGP Gruppe, zudem eine Kooperation mit dem Universitätsklinikum Münster an.

 

 

Derzeit läuft ein städtebauliches, gutachterliches Verfahren für den gesundheitlichen Modellstandort. Erste Ergebnisse präsentieren die Obergutachter, bestehend aus Vertretern des Bauherren, der Kreisstadt Steinfurt, Fachvertretern aus dem Bereich Architektur / Stadtplanung sowie Sachvertretern aus dem medizinischen und sozialen Bereich am 4. Juni. Anschließend sollen die Entwürfe der vier beteiligten Architekturbüros, soweit dies aufgrund der Corona-Situation möglich ist, im Foyer des Rathauses Steinfurt ausgestellt werden. 

Angesichts der prominenten Lage und der damit verbundenen hohen städtebaulichen Bedeutung des Vorhabens führt der Projektentwickler dieses gutachterliche Verfahren durch.
An diesem Verfahren sind vier Architektur- und Stadtplanungsbüros beteiligt. Diese sind aufgefordert, ein städtebauliches und landschaftsplanerisches Bebauungskonzept für das Planungsgebiet zu entwickeln.
„Wir wollen den Gesundheitscampus und die neuen Wohnungen in das bestehende Stadtgefüge integrieren und so ein lebendiges Stadtquartier entwickeln“, erläutert Nils Schülke von der IGP Projekt GmbH. Dabei soll nach den Vorgaben des Verfahrens ein städtebauliches Gesamtkonzept für ein innovatives und vielseitig nutzbares Quartier entstehen, das sich optimal in den Ort einfügt und das historische Umfeld aufgreift. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der funktionalen Verbindung des benachbarten UKM Marienhospitals Steinfurt mit dem neuen Campus.

Die finale Nutzungsaufteilung steht aufgrund des laufenden Verfahrens noch nicht fest. Der größte Teil der Fläche könnte für die Rehaklinik reserviert werden, die durch Nutzungen wie den Therapiebereich und ein Bewegungsbad ideal ergänzt würde. Ein kleinerer Teil steht für das Pflegeheim zur Verfügung, das durch eine Pflegeschule und Apartments für die Pfleger ergänzt werden könnte. Zur Arrondierung des Areals ist zudem in einem untergeordneten Maßstab Wohnungsbau vorgesehen, daneben ist derzeit auch eine Kita auf dem Areal geplant.

Geschichte der Firma Arnold Kock

„In enger Abstimmung mit dem zur Universitätsklinik Münster gehörenden Marienhospital Steinfurt wollen wir in Steinfurt einen Modellstandort schaffen, der das optimale Zusammenspiel von Akutkrankenhaus, stationärer sowie ambulanter Rehabilitation ermöglicht“, erläutert Stefan Gräf, Vorstand der IGP-Gruppe. Die Arnold Kock Textil GmbH war ein deutsches Textilunternehmen mit Sitz im prominenten Kirchring. Es wurde 1875 durch den Textilunternehmer Arnold Kock gegründet. Das Unternehmen entwickelte und produzierte textile Gewebe, vor allem Bettwäsche, Tischwäsche, Objekttextilien, OP-Textilien, Afrikadamast, Küchenwäsche und Frottier. Neben der eigenen Weberei gab es weitere Produktionsmöglichkeiten weltweit. 

Arnold Kock war bereits an mehreren Textilunternehmen in Borghorst und Nordkirchen beteiligt, kaufte die 1861 gegründete und nach dem Tod der Inhaber von der Insolvenz bedrohte Leinen- und Baumwollweberei „Brinkhaus und Wischebrink“ und übernahm 33 Mitarbeiter.

Er gab dem Unternehmen den Namen „Arnold Kock Textil GmbH“ und konsolidierte es. Nach seinem Tode 1879 übernahm sein ältester Sohn Eduard Kock (1856 bis 1926) die Geschäftsführung; die Brüder Arnold Kock (1859 bis 1906) und Franz Kock (1864 bis 1922) waren ebenfalls in leitenden Positionen im Unternehmen tätig. 1885 hatte der Betrieb bereits 240 Mitarbeiter und betrieb 400 mechanische Webstühle. Im Ersten Weltkrieg wurde die Textilproduktion durch fehlende Baumwollimporte stark eingeschränkt. Man musste auf Ersatzstoffe bis hin zu Papierfasern ausweichen.

1927 wurde die Weberei dann konsequent auf moderne Jacquard-Webstühle umgestellt und es wurden Markenartikel entwickelt. 1934 bis 1938 erfolgten Erweiterungsbauten durch den Architekten Heinrich Bartmann.
Nach Beseitigung der Kriegsschäden des Zweiten Weltkrieges konnte die Produktion wieder aufgebaut werden. Ab 1952 wurden neue Produktionsschwerpunkte auf Damaste, Drelle und Tischdecken ausgerichtet. Der Markenname Anker wird geprägt, nach einem Detail des Familienwappens von 1776.

Die Textilkrise in den 1960er bis 1990er Jahren als Folge der Globalisierung bewirkte eine verstärkte internationale Ausrichtung des Unternehmens hinsichtlich Beschaffung, Produk­tion und Absatz. 2002 wurde mit zirka 130 Mitarbeitern noch ein Umsatz von 54 Millionen Euro erzielt. Im Februar 2003 musste jedoch Insolvenz angemeldet werden und der Betrieb wurde daraufhin zunächst mehrheitlich von der Daun-Gruppe erworben. Am 1. September 2014 übernahm die Firma Wilhelm Wülfing in Borken den Geschäftsbetrieb der Firma Arnold Kock Textil GmbH und führte ihn unter ihrem Namen weiter.

Allerdings waren Verwaltung und Veredelung längst an den Standort der ehemaligen Bleicherei stadtauswärts verlegt worden, die Gebäude im Schatten der Kirche standen leer und verfielen zu Industrieruinen. Da es dort auch zu mehreren Bränden kam, wurden 2018 die Gebäude aus Sicherheitsgründen abgerissen. Schon oft gab es in den vergangenen Jahrzehnten Ideen für die Gebäude und das Areal, die aber allesamt nicht umgesetzt werden konnten. Viele Borghorster hoffen seit Jahren, dass dort endlich eine würdige Bebauung entsteht. Wer jetzt neugierig auf die Borghors­ter Textilgeschichte geworden ist, dem sei das wunderbare Werk von Hans Jürgen War­necke empfohlen: Geschichte der Borghorster Textilindustrie – Spinnen Weben Handeln. Mit diesem Buch wurde erstmals eine historische Gesamtschau dieses wichtigen Kapitels der Stadtgeschichte möglich: eine Sammlung aus Vorträgen und Veröffentlichungen. Hans Jürgen Warnecke war das Gedächtnis seiner Stadt, ja einer ganzen Region. Besonders am Herzen lag ihm mit seinen zwei beruflichen Qualifikationen – als Textilingenieur und Historiker – die heimische Textilindustrie.
Der Buchtipp zum Thema

All sein Wissen darum, die Ergebnisse seiner Jahrzehnte währenden Forschungsarbeit, sind in sein letztes Werk eingeflossen. Dabei geht es auf den über 400 Seiten nicht nur um die Aufdeckung geschichtlicher Zusammenhänge, sondern auch um die Arbeits- und Lebenswirklichkeiten der Menschen, die mit der Textilindus­trie eng verbunden waren, um die der Unternehmer, aber auch um die der Arbeiter und all der Menschen, die für die Entwicklung dieses einst so dominanten Industriezweigs in Borghorst eine Rolle spielten. Von fürsorgenden Unternehmer­familien ist hier ebenso die Rede wie von der Gründung von Gewerkschaften, der Forderung nach gerechteren Löhnen bis hin zu Streiks.
Dabei zeichnet Hans Jürgen Warnecke nicht nur ein Bild der textilen Blütezeit nach, sondern auch das von Krisen, Prozessen und letztlich vom Untergang traditionsreicher Unternehmen. Es ist eine facettenreiche Zeitreise durch die Jahrhunderte – vom Flachs zum Leinen, von der Hausweberei zur Textilindus­trie. Und es ist auch ein Buch voller Geschichten, gespickt mit amüsanten Anekdoten von Borghorster Originalen und Geschehnissen. Erhältlich ist das Werk im Buchhandel oder unter www.tecklenborg-verlag.de.

Foto: Janes Friedrichs

Der Großteil der Gebäude auf dem Areal ist bereits abgerissen. Foto: Simone Friedrichs


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