Babywatching

Die beteiligten „ehemaligen Säuglinge“ Ilvy (l.) und Paula (r.) sind mittlerweile groß und wurden jetzt feierlich mit ihren Müttern Yvonne Eilert-Bülter (l.) und Carina Büschker (r.) von Kita-Leiterin Britta Röhl (h. Mitte) und Sibel Dibooglu (v.r.) verabschiedet (v.l. Irina Lengle; ihr Sohn Gabriel und Erzieherin Valentina Olenberg sind nicht im Bild). Foto: Kita

Rheine

Rheine. Als Britta Röhl in ihrem privaten Umfeld das erste Mal vom „Babywatching“ hörte, war sie total begeistert. Das Konzept ist einfach: Eine Mutter und ihr wenige Wochen alter Säugling werden „beobachtet“, von Kindern in der Kita oder auch von älteren Menschen in einem Seniorenheim.

 

 

So werden die Verhaltensweisen und das Verhältnis zur Mutter deutlich. Das Ganze läuft über ein Jahr, bis das Kleinkind laufen kann. „Ich bin dann voller Euphorie zu einem Seminar nach Osnabrück gefahren, um mich weiter darüber zu informieren“, erinnert sich die Leiterin der Kita Gartenstadt, die sich in Trägerschaft des Jugend- und Familiendienstes e.V. (Jfd) in Gellendorf an der Graf-von-Stauffenberg-Straße befindet. Das Projekt wollte sie gerne auch in ihrer Einrichtung einführen. Das Team war sofort überzeugt.

Allerdings stieß sie bei den Müttern, die gerade entbunden hatten, zunächst auf nicht allzu große Gegenliebe. „Wir hatten die Vorstellung, dass das so etwas wie eine tiergestützte Therapie sein würde, nur mit Kindern“, fasst Carina Büschker ihre Bedenken in Worte. Sie war damals Mitglied des Elternrates, denn ihre große Tochter Milena besuchte bereits die Kita und sie hatte gerade ihre kleine Tochter Paula entbunden. Auch Yvonne Eilert-Bülter, die schon Tochter Ida-Marie im Kita-Alter hatte und frisch gebackene Mutter von Ilvy war, stand dem Ganzen erst sehr skeptisch gegenüber. „Wir konnten uns das nicht richtig vorstellen. Sollten wir uns einfach mit unseren Säuglingen in die Mitte setzen und uns von den Kita-Kindern angucken lassen?“, bringt sie ihre Skepsis zum Ausdruck. 

Doch Britta Röhl konnte ihre Bedenken zerstreuen und sie schlussendlich überzeugen. „Mit im Boot war auch unsere Kollegin Irina Lengle“, berichtet sie. Die war nämlich auch gerade Mutter geworden und bereit, das Projekt mit ihrem kleinen Gabriel mitzugestalten. Die Hürden waren jetzt also alle genommen, es konnte losgehen. Das „Babywatching“ kommt aus den USA und war ursprünglich für verhaltensauffällige Jugendliche konzipiert worden. Es wurde dann allerdings auf Kitas und sogar auf Seniorenheime ausgeweitet.

„Bei uns läuft es so ab, dass für den Säugling und seine Mutter eine Art „Insel“ in einem Gruppenraum eingerichtet wurde, auf der auch nur die beiden sitzen dürfen“, berichtet Britta Röhl. Etwa zehn Kita-Kinder, hier zwischen vier und fünf Jahren alt, kommen dann dazu und setzen sich rund um diese Insel, um für 20 Minuten das Verhalten des Babys und die Interaktion mit der Mutter zu beobachten. „Dabei werden drei Fragen aufgeworfen“, erläutert Erzieherin Sibel Dibooglu, die gemeinsam mit ihrer Kollegin Valentina Olenberg das „Babywatching“ begleitet. Was tut oder braucht das Baby gerade? Was macht die Mutter? Wie würdest du dich fühlen, wenn du das Baby wärst? Auf die ersten Fragen antworten die Kinder aufgrund ihrer Beobachtungen. Aber die Beantwortung der dritten Frage ist etwas komplizierter, denn dafür müssen die Kleinen ihre Emotionen in Worte fassen. „Oft passiert das sofort, manchmal dauert es auch ein bisschen und die Kinder erzählen später in der Gruppe über ihre Gefühle“, beschreibt Sibel Dibooglu das Verhalten.

Aber nicht nur die Kita-Kinder profitieren vom Babywatching. Yvonne Eilert-Bülter war mit ihrer Ilvy über ein Jahr in der Sozialstation Woltering zu Gast, mit der die Kita seit langem eine Kooperation unterhält. Dort waren überwiegend demenzerkrankte Menschen zugegen. „Es war so schön, zu sehen, wie die Senioren auf uns reagiert haben“, erinnert sich Eilert-Bülter. „Viele haben erzählt, dass ihre Enkel schon erwachsen sind und wenn sie Urenkel haben, die oft weit weg wohnen.“ Einen Vorteil für das Mutter-Kind-Gespann hat das Projekt jedenfalls für sie. „Ich beobachte meine Kinder seitdem viel häufiger beim Spielen, also ein privates Babywatching daheim“, meint sie schmunzelnd. Der erste Durchlauf ist nun beendet, die ehemaligen Säuglinge sind jetzt so alt, dass sie, wie Ilvy und Gabriel, nun selbst in die Kita gehen. „Das Thema ‚Babywatching‘ ist mit ‚neuen‘ Kindern in die nächste Runde gegangen und musste leider aufgrund der Corona-Krise unterbrochen werden. Es geht aber auf jeden Fall weiter“, freut sich Kita-Leiterin Britta Röhl.


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